„Eine Nullachtfünfzehn-Ausbildung kam für mich nicht infrage”, sagt Vincent. „Mir war klar, ich suche etwas Technisches. Und auf den Beruf des Feinoptikers bin ich über einen Auswahltest in einem Portal für Auszubildende im Internet aufmerksam geworden. Nach der Eingabe meiner Fähigkeiten und Interessen wurde mir der Feinoptiker als Beruf vorgeschlagen. Da ich vorher noch nie davon gehört hatte, wollte ich unbedingt mehr darüber erfahren.” Seine Neugier war geweckt, auch wenn der Beruf am Anfang eher nach Optiker und Brille klang. Beim Recherchieren begriff er ganz schnell, dass es im Beruf um vielfältige handwerkliche und technisch anspruchsvolle Aufgaben geht. Er sucht nach Firmen, die diese Ausbildung anbieten und schickt eine Initiativbewerbung an Berliner Glas – seinen jetzigen Ausbildungsbetrieb.
Schon der Einstellungstest hatte dem jungen Mann gut gefallen. „Wir hatten Einzelaufgaben zu lösen, aber auch Gruppenaufgaben mit anderen”, sagt er. Aufgabe besprechen, überlegen, tüfteln. Der Test lief bestens, so dass Vincent später zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde. „Man legt nicht nur das Zeugnis auf den Tisch, sondern ich hatte auch das Gefühl: Hier werden sich viele Gedanken um die Person hinter den Noten gemacht.”
Inzwischen beendet Vincent sein zweites Ausbildungsjahr als Feinoptiker. Der Weg dahin war einer mit Umwegen und Brüchen, sogar zwei Studienabbrüchen. Nach dem Abitur entschied sich der Berliner für Energie- und Prozesstechnik an der TU Berlin, weil er sich einen sicheren Arbeitsplatz für die Zukunft vorstellte. „Doch ich stand mir zum größten Teil selbst im Weg, war mit dem Kopf noch nicht im Studium angekommen”, sagt er heute selbstkritisch. Er hatte sich schwer getan, Studienaufgaben, Zeit und Freizeit richtig einzuteilen. „Und wenn man erst einmal den Anschluss verloren hat, dann wird es immer schwieriger, den wieder zu bekommen, gerade bei einem anspruchsvollen Studium.” Vincents Eltern entgeht das nicht. Gemeinsam halten sie Familienrat, ohne Vorwürfe, dafür lösungsorientiert. „Wir haben beratschlagt, ob eine Fachhochschule mit ihren stärker kontrollierten Strukturen für mich vielleicht besser wäre.”
Die Wahl des zweiten Studiengangs fiel Vincent nicht schwer. In der Schule hat ihm Biologie viel Spaß gemacht, er hatte Biologie sogar als Leistungskurs. Daher entschied er sich an der Fachhochschule für Lebensmitteltechnologie. Seine Leistungen verbessern sich, das Studium war strukturiert, er schrieb seine Arbeiten und absolvierte Experimente. „Doch ich spürte, das Fach war keine inhaltliche Befriedigung für mich.” Diesmal zieht Vincent selber die Reißleine – nach drei Semestern. „Ich merkte, ich leiste nicht das, was ich leisten kann und will. Ich wollte mich nicht noch einmal verrennen.” Er habe danach dennoch ein gutes Gefühl gehabt, sich so entschieden zu haben, sagt er. „Schluss mit dem Rumeiern. Es ging so nicht weiter.” Und so stieß er beim Recherchieren im Netz nach einer technisch-handwerklichen Ausbildung auf den Beruf Feinoptiker und die Firma Berliner Glas.
„Wir wissen in der Regel schon vor allen anderen, wohin die technische Entwicklung geht.”
Er bezeichnet es „als Glücksfall” und kommt nicht aus dem Schwärmen heraus. „In diesem Beruf geht es viel um Licht und Laser und darum, Licht nutzbar zu machen.” Das ist ein beeindruckender Fachbereich, der uns überall umgibt, ohne dass man es sofort merkt: Displays fürs Handy, die neue Zahnkamera beim Zahnarzt, Module für die Satellitenkommunikation oder die Chip-Herstellung – diese und viele weitere spannende Anwendungen benötigen die Fertigkeiten von Feinoptikern. „Wir wissen in der Regel schon vor allen anderen, wohin die technische Entwicklung geht”, sagt er nicht ohne Stolz darauf, in einer der modernsten und boomenden Branche zu arbeiten. „Wenn ich hier eine Formel berechnen oder eine Gleichung lösen muss, dann kann ich das gleich anwenden und sehe am Ende was ich getan habe, das ist etwas Greifbares.”
Sein Lieblingsthema sind hochpräzise Spiegel aus Silizium-Karbid für die Satellitenkommunikation. „Die müssen extrem plan sein, damit ein Laserstrahl über mehrere Zehntausend Kilometer reflektiert werden kann. Jeder tausendstel Millimeter Abweichung verursacht auf diese Entfernung eine große Fehlertoleranz.” Persönlich hat der 26-Jährige schon mitgearbeitet bei Linsen für einen renommierten Hersteller von Kinoobjektiven. Inzwischen geht er mit ganz anderen Augen als andere ins Kino, wissend, dass da möglicherweise gerade seine Arbeit für HD-scharfe Bilder auf der Leinwand sorgt.
Viel Fingerspitzengefühl ist im Beruf gefragt, Sauberkeit und Exaktheit, aber ebenso Ausdauer, manchmal auch Kraft, Umgang mit digitalen Geräten sowieso. Von Handarbeit bis Maschinenbedienung im Drei-Schicht-System reicht das Spektrum, ein Beruf für Frauen und Männer gleichermaßen. Jeder findet entsprechend seinen Platz. „Was wir hier benötigen, lernt man nicht allein durchs Bücherlesen. Da holt man sich die Theorie, alles andere ist Erfahrung.” Ob eine Linse konkav oder konvex, mit oder ohne Spitze ist. „Man merkt wirklich am Ergebnis, wie man gearbeitet hat, ob man unkonzentriert war oder sich nicht voll hingegeben hat”, sagt der angehende Feinoptiker. „Tatsächlich ist das Polieren von Hand eine Herausforderung.”
Vincent ist mit Hingabe dabei, bestätigt sein Lehrmeister Stephan Giese. Dass der Auszubildende vorher andere Wege probiert und dabei Umwege genommen hat, ist kein Manko: „Vieles kann er sowieso gebrauchen, dazu kommen Lebenserfahrung und menschliche Reife.”
Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß
Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.