“Ich habe versucht, mein Studium durchzuziehen, hatte ja sogar schon einen studentischen Werkvertrag in der Forschung”, sagt Sascha Lüttig, “aber irgendwann hatte ich das Studium aus den Augen verloren.” Der Forschungsjob war inzwischen auch beendet, Sascha Lüttig drückt wieder die Schulbank und büffelt für Klausuren. “Zurück an die Bücher, in die Theorie, das fiel mir einfach schwer”, sagt er. “Ich brauchte einen Neuanfang.” Er macht einen Schnitt und bricht nach 14 Semestern sein Elektrotechnikstudium ohne Abschluss ab. Knapp acht Monate später startet er neu durch. Mit 29 Jahren beginnt er im September 2016 in Berlin bei der Firma B.I.N.S.S. eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Elektroniker für Informations- und Telekommunikationstechnik.
Mit ihm gemeinsam tüfteln drei weitere Azubis mit Studienhintergrund in der Lehrwerkstatt von B.I.N.S.S.: Jahn-Thomas Zenger, Paul Brenz und Ronny Schrott. Sie hatten ebenso Elektrotechnik oder Technischen Umweltschutz studiert, ihren Entschluss allerdings schneller getroffen. Bei ihnen war schon nach zwei Semestern klar: Nicht durchs Studium quälen, sondern einen anderen Weg gehen.
“Jeder hat Stärken und Schwächen, einer hat mehr Geduld, kann akribisch an einer Sache bleiben, der andere hat mehr den Blick fürs Ganze”.
“Wenn man nach dem Abitur mit dem Studium nicht klarkommt, sich überfordert fühlt, dann sollte man es lieber sein lassen”, sagt der 21-jährige Ronny Schrott. Paul Brenz und Jahn-Thomas Zenger analysieren: Beim Übergang vom Schulsystem ins studentische Lernen fühlten sie sich alleingelassen, waren nicht gut darauf vorbereitet, was danach von ihnen erwartet wurde. Zwar hätten sie ein paar Vorgaben gehabt, um sich einen konkreten Studienplan zusammenzustellen, aber der sei viel zu vage gewesen, vieles nicht koordiniert. “Ein Link zu einer Internetseite und dann sieh’ zu”, sagt Paul Brenz noch immer enttäuscht, denn er wollte es richtig machen. “Ich habe mich entschieden, dass das nicht der richtige Weg ist”, sagt Jahn-Thomas Zenger.
Die vier jungen Männer scheinen mit ihrer Ausbildung als Elektroniker für Informations- und Telekommunikationstechnik bei B.I.N.S.S. einen Treffer gelandet zu haben. Schon beim Bewerbungstest zur Ausbildung spielte der Praxisbezug eine große Rolle. “Kein stundenlanger Wissenstest, sondern auch auf handwerkliche Fähigkeiten wurde Wert gelegt”, sagt Jahn-Thomas Zenger. Die benötigen sie auch neben theoretischem Wissen, wenn sie als Monteur auf einer Baustelle eine Brandschutzanlage oder ein Intrusionssystem montieren. “Wo darf man was verlegen, wo darf man was installieren? Welche Abstände müssen eingehalten werden, welche Kabel sind wofür?”
“Ich brauchte einen Neuanfang”.
Auch die Abwechslung zwischen schulischen Arbeitstagen, Übungstag in der Lehrwerkstatt und der Arbeit auf echten Baustellen lässt die Auszubildenden schwärmen. “Neben den Grundlagen, wie man sägt, feilt und lötet, arbeiten wir genau durch, wie funktioniert ein Brandmelder oder wie schalte ich eine Telefonanlage, so lange, bis ich es kapiert habe”, sagt Paul Brenz. Es gibt Fummelarbeiten, Denkarbeit, aber auch mal körperliche. All das zu beherrschen und sich anzustrengen lohnt auf jeden Fall. Denn jedes gute Zwischenzeugnis ab der Gesamtnote Drei aufwärts, lässt sich die Firma B.I.N.S.S. zusätzlich zur tariflichen Lehrlingsvergütung einen monatlichen Bonus kosten.
In Jens Reißberger, dem Leiter der Berufsausbildung, haben sie nicht nur einen kritischen Lehrmeister, sondern auch einen erfahrenen Partner. “Jeder hat Stärken und Schwächen, einer hat mehr Geduld, kann akribisch an einer Sache bleiben, der andere hat mehr den Blick fürs Ganze”, beschreibt er die Charaktere. In den ersten Wochen beobachtet er genau, wie sie alle ticken, denn später als Monteure auf den Baustellen müssen sie harmonieren und sich ergänzen. “Ich bin zuständig, das zu erkennen und entsprechend gut arbeitende Teams zu bilden.” Denn da gibt es immer neue Herausforderungen. “Jedes Objekt hat eine eigene Routine”, sagt Sascha Lüttig. “Immer ein neues Abenteuer”, ergänzt Paul Brenz.
Trotz oder wegen ihres Studienabbruchs ist Reißberger für seine Auszubildenden im ersten Lehrjahr voll des Lobes. “Sie bringen schon etwas Lebenserfahrung mit, auch theoretische Kenntnisse aus einem artverwandten Studiengang, das passt. “Und schmunzelnd: “Sie sind auch nicht mehr verspielt.” Soll heißen, ihre erste persönliche Niederlage im sogenannten Berufseinstieg meistern sie mit Bravour und Selbstbewusstsein. “Wenn sie als Monteure die Arbeit aus dem Effeff beherrschen, können sie später Baustellen leiten, Projekte planen, sich innerhalb der Firma hocharbeiten.”
Ronny Schrott ergänzt: “Es gibt viele Möglichkeiten, einen Beruf zu finden und sich weiter zu bilden und zu entwickeln. Außerdem kann man später immer noch studieren.”
Manchmal ist das der Umweg, aber vielleicht die bessere Entscheidung. Selbst nach 14 Semestern Studium, bestätigt Sascha Lüttig: “Es war die richtige Entscheidung, einen Cut zu machen. Das kann ich jetzt schon sagen: Ich fühle mich besser.”
Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß
Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.