„Ich saß im Bus auf dem Weg zur Hochschule, hatte den Studienführer in der Hand und dachte beim Durchblättern: Du willst doch was mit Computern machen.“
Diese Episode spielt sich im Spätsommer 2009 ab. Robert M. Thiel hat gerade sein Fachabitur in der Tasche und ist wild entschlossen, an der TFH Berlin (heute Beuth Hochschule für Technik Berlin) Technische Informatik zu studieren.
„Von Klein auf war ich mit Computern umgeben und aufgewachsen, hatte in meiner Pubertät PC-Spiele für mich entdeckt, kannte mich technisch aus“, sagt Robert Thiel. „Ich dachte, ich habe den richtigen Background für das Studium.“
Voller Enthusiasmus beginnt er sein Studium. Er verbringt viel Zeit mit den Basics und dem Programmieren, aber bald keimen erste Zweifel: „Es wurde sehr mathematisch. Und das machte mir einfach keinen Spaß.“ Irgendwann begreift er, dass er andere Vorstellungen hatte. Nach drei Semestern macht er einen Schnitt, wechselt die Fachrichtung und studiert fortan Gebäude- und Energietechnik.
Sein Plan klingt plausibel: Diese Fachrichtung ermöglicht ihm später im gehobenen Dienst bei der Berufsfeuerwehr eine Anstellung zu bekommen. Und viele der nötigen Voraussetzungen bringt Robert M. Thiel bereits mit. Schon seit seiner Jugend engagiert er sich bei der Freiwilligen Feuerwehr, lernt die Technik, das Löschen und wie man Einsätze vor- und nachbereitet. Sein Vater, selbst bei der Berufsfeuerwehr tätig, ermutigt ihn, diesen Weg zu gehen. Während des Studiums fahren sie sogar manchmal gemeinsam Einsätze bei der Feuerwehr. Er macht 24-Stunden-Dienste, kennt sich auf dem Rettungswagen aus, bildet sich nebenbei zum Rettungssanitäter weiter.
„Irgendwann habe ich gemerkt, dass mir das viel Spaß macht, aber ich begriff, dass auch dieses mich nicht auf Dauer fesseln würde“, sagt Robert M. Thiel.
Bei seinen Einsätzen als Feuerwehrmann hatte er schon viel mit der Polizei zu tun, kannte den einen oder anderen Kollegen. Ganz fremd war ihm dieses Berufsfeld also nicht. Und Thiel steht erneut vor einer Entscheidung. Noch während seines Studiums bewirbt er sich bei der Berliner Polizei. Die Grundeinstellungsvoraussetzungen erfüllt er, dann absolviert er den schriftlichen Aufnahmetest, den Sporttest, später die mündliche Eignungsprüfung. Gesundheitlich gibt es auch nichts einzuwenden, alle Checks bestanden. Aber er scheitert vorerst. „Aufgrund meiner erreichten Gesamtpunktzahl stand ich auf der Liste zu weit hinten.“ Noch studiert er Gebäude- und Energietechnik. Beim nächsten Bewerbungsverfahren ein halbes Jahr später beweist Thiel, was er auf dem Kasten hat und besteht das Auswahlverfahren.
Feste Struktur sowie Praxis im Wechsel mit Theorie
Ab jetzt folgen sechs weitere Semester Studium, denn Robert M. Thiel entscheidet sich für den gehobenen Polizeivollzugsdienst. Mit 23 Jahren, nach sechs Semestern Suche und Orientierung hat er nun jedoch das Gefühl, auf dem richtigen Pfad zu sein.
„An der Technischen Fachhochschule lief das Studium Laissez-faire ab, es gab keine Anwesenheitspflicht in einzelnen Kursen, es fehlte eine feste Struktur“, sagt Robert M. Thiel rückblickend. „Das Studium im Polizeivollzugsdienst war schon anders, viel strukturierter.“
Und es gab viel Praxis im Wechsel mit Theorie. An der Polizeiakademie unterrichten die Beamtinnen und Beamten aus der Praxis.
„Man lernt alles, was man draußen im Einsatz braucht, von gestandenen Praktikern.“
Thiel bekommt Einblick in die Arbeit im Polizeiabschnitt, lernt Hierarchien und Fachbereiche kennen, wird psychologisch geschult und kann sich entwickeln. „Ich wurde ganz anders gefordert und angesprochen.“ Ob Einsatz in Zivil oder in Uniform, Thiel kennt seine Aufgaben, weiß, wie er sich wann und wo verhalten muss.
Funkwageneinsatzdienst, Drogen- und andere Kriminalitätsbekämpfung, Verkehrspolizei, Bereitschaftspolizei, Wasserschutzpolizei oder Hundestaffel – die Vielfalt der Polizeiaufgaben und Möglichkeiten innerhalb der Polizei begeistern den 32-Jährigen Oberkommissar. Jede/r kann hier ein Einsatz- und Aufgabengebiet finden, was zu ihr oder ihm passt.
„Und man lernt bei der Polizei wirklich jeden Tag etwas Neues kennen.“
Im Herbst 2017 hatte Robert M. Thiel die Gelegenheit, sich in Brüssel zum Thema taktische Verletztenversorgung und Verletztenversorgung bei Terroranschlägen zu informieren, konnte an Übungen teilnehmen, sich sachkundig weiterbilden. Aber das ist keine Einbahnstraße. Auch er darf Wissen an andere vermitteln: Da bietet sich seine Erfahrung bei der Feuerwehr und die Ausbildung zum Rettungssanitäter an, die Kolleginnen und Kollegen auf dem Abschnitt zu schulen.
Thiel sagt: „Die Polizei bietet nicht nur, sie fordert natürlich auch, physisch und psychisch.“ Wechselschichten sind ein Thema, körperliche Fitness, kommunikative Fähigkeiten, zumal die im Umgang mit den Menschen unabdingbar sind, egal ob jemand eine Anzeige erstattet, als Täter oder als Opfer mit den Beamtinnen und Beamten zu tun hat.
Die Entscheidung, zur Polizei zu wechseln hat Robert M. Thiel nicht bereut, obwohl er zwei Umwege gegangen ist.
„Ich rate allen, sich vorher wirklich tiefgreifender damit zu beschäftigen, was einen im Studium oder danach auf dem Arbeitsmarkt erwartet, ob das passt.“
Aber es sei nie zu spät, sich dann anders zu entscheiden. „Ich habe mich als Mensch unglaublich verändert“, sagt er. Zwei silberne Sterne zieren derzeit seine Schulterklappen. Den nächsten Schritt hat er schon fest im Blick.
Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß
Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.