Über den Dächern Berlins

Ein Dienstagnachmittag Mitte September. Der Herbst macht seinem Namen mit wolkenverhangenem Himmel, kurzen Regenschauern und leichten Windböen alle Ehre. Auf dem Rasen eines kleinen Hinterhofs im idyllischen Berlin-Karlshorst treffen wir Philipp Fleuti, ganz in Schwarz gekleidet. Latzhose, Zylinder, Fleecejacke, Sicherheitsschuhe und die golden aufblitzende Gürtelschnalle mit dem Emblem des heiligen Florian als Schutzpatron gegen das Feuer lassen keinen Zweifel an seinem Beruf: Hier haben wir es mit einem waschechten Schornsteinfeger zu tun. Ein Traumberuf auf Umwegen.

Enttäuschte Erwartungen

Bereits auf dem Gymnasium fühlt sich Philipp Fleuti nicht am richtigen Platz. Nach dem Wechsel auf die Realschule folgen ein guter Abschluss, das Fachabitur und der Wehrdienst. Denn, so betont er: „Für mich war aus dem Elternhaus heraus klar, dass ein Studium das Erstrebenswerteste ist. Mit dem Fachabitur wollte ich mir die Möglichkeit eines Studiums offenhalten.“

Zwischendurch macht er allerhand Nebenjobs, um ein breites Berufsspektrum kennenzulernen und den passenden Studiengang zu finden. Die Wahl stellt sich als schwieriger und langwieriger heraus als gedacht, denn der Universitätszugang bleibt ihm mit dem Fachabitur verwehrt. Nachdem er viele Fachrichtungen für sich ausgeschlossen hat, beginnt er schließlich ein Studium der Telematik. Dieses verheißt ihm eine zukunftsträchtige Spezialisierung in der Gebäudeautomatisierung – denn schon damals interessiert er sich für Gebäude und wünscht sich einen hohen Praxisbezug. Mit der Zeit wird ihm jedoch klar, dass es sich nicht um ein ingenieurwissenschaftliches Studium handelt, sondern um ein reines Informatikstudium. Das Ende ist vorprogrammiert: Nach zwei Semestern folgt die Exmatrikulation. Ein anderes Studium anzufangen, ist für ihn keine Option mehr.

Rückblickend auf seine damalige Situation sagt Philipp Fleuti: „Nach dem Studienabbruch ging es mir schlecht. Schlecht deswegen, weil mir von klein auf beigebracht wurde, dass man ein Studium haben muss, um später erfolgreich zu sein. Und wenn man dann aus dem Studium rausgeschmissen wird, ist das natürlich so ein Punkt, wo es einem so vorkommt, als hätte man versagt.“

Wenn die Zukunft an der Tür klingelt

Nach dem Studienabbruch im Frühling nutzt er ein halbes Jahr lang die Freiheit und macht weiter Nebenjobs, um ein bisschen Geld zu verdienen. Seine Eltern reagieren glücklicherweise entspannt auf die Nachricht und unterstützen ihn bei der Suche nach einer beruflichen Alternative. Andere Hilfe, beispielsweise von Beratungsstellen, nimmt er kaum in Anspruch. Eine Ausbildung rückt nun immer mehr in greifbare Nähe – aber welche?

Wie der Zufall es so will, steht sein berufliches Glück plötzlich vor der eigenen Wohnungstür: „Das war eigentlich ganz witzig: An dem Tag, an dem ich mich zum ersten Mal mit dem Thema Ausbildung beschäftigt habe, kam der Schornsteinfeger bei meinen Eltern vorbei. Er hat mir ein bisschen von seinem Beruf erzählt. Neben den handwerklichen Aufgaben hat mich von Anfang an begeistert, dass man aufgrund der vielen Besuche in unterschiedlichen Haushalten sehr nah am Menschen arbeitet. Über das Gespräch mit ihm habe ich mich näher mit dem Beruf befasst.“

Nach einiger Überlegung steht sein Entschluss fest: Er bewirbt sich bei der Berliner Schornsteinfeger-Innung, der zentralen Anlaufstelle für eine Ausbildung zum Schornsteinfeger in der Hauptstadt. Im Herbst desselben Jahres beginnt er seine Ausbildung, die ihm große Freude bereitet. Er schätzt vor allem die Abwechslung und den hohen Praxisbezug, die ihm während des Studiums gefehlt haben.

Der Weg in die Selbstständigkeit

Mit seinem Fachabitur, besonders guten Leistungen in der Ausbildung sowie einer großen Portion Fleiß und Disziplin kann Philipp Fleuti die reguläre Lehrzeit von drei Jahren sogar um ein Jahr verkürzen. Bereits während der Ausbildung beschließt er, nach dem Abschluss so schnell wie möglich seinen Meister zu machen. Im Alter von 25 Jahren hat er den Gesellenbrief in der Tasche und beginnt sich berufsbegleitend weiterzubilden, um entsprechend Geld zu verdienen. Er besucht die Meisterschule im Blockunterricht. Im ersten Jahr sind es zwei Monate, im zweiten drei. Sein Chef ermöglicht ihm, die Unterrichtszeit herauszuarbeiten.

Philipp Fleuti ergänzt: „Eine große Unterstützung war für mich auch ein Kollege aus meiner Ausbildungsklasse, mit dem ich gemeinsam die Ausbildung verkürzt und meinen Meister gemacht habe. Wir haben uns super gegenseitig motiviert. Inzwischen gibt es aber auch andere Wege, mit denen sich Arbeit und Fortbildung besser miteinander vereinbaren lassen: Der Lehrgang zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung kann mittlerweile in einem langen Block von einem halben Jahr in Vollzeit absolviert werden. Eine andere Möglichkeit ist die Online-Meisterschule, bei der jeden Abend Kurse stattfinden – mit Praxisteilen vor Ort. Wer möchte, kann mit den ersten Modulen schon während der Ausbildung beginnen. Die Meisterprüfung kann dann direkt nach der Gesellenprüfung abgelegt werden, denn die Voraussetzung dafür ist ein erfolgreicher Ausbildungsabschluss.“

Nach bestandener Meisterprüfung ist es Anfang 2022 so weit: Er macht sich selbstständig und eröffnet seinen eigenen Schornsteinfegerbetrieb. Gleichzeitig wird er bevollmächtigter Bezirksschornsteinfegermeister für seinen Kehrbezirk – eine hoheitliche Aufgabe, die er von der Berliner Senatsverwaltung erhält. Neben ihm besteht der Betrieb in Karlshorst aus zwei Angestellten: einer Bürokraft und einem angestellten Schornsteinfegermeister.

Die Energiewende praktisch umgesetzt

Doch was macht ein Schornsteinfeger eigentlich? Definitiv nicht nur den Schornstein fegen! Neben dem täglichen Brandschutz durch Schornstein kehren, Feuerungsanlagen überprüfen, Abgaswerte messen und Rauchwarnmelder warten gibt es noch einen anderen wichtigen Aspekt für den Klimaschutz: Schornsteinfeger beraten ihre Kunden zur Energieeinsparung an Feuerungsanlagen und dem gesamten Gebäude inklusive Dämmung und Lüftung. Damit handele es sich um einen sehr zukunftsorientierten handwerklichen Beruf, der sich mit der Energieversorgung der Zukunft beschäftigt, hebt Philipp Fleuti hervor. Wie viele andere Unternehmen, hat er sich mit seinem Betrieb auf diesen Bereich spezialisiert und eine Fortbildung zum Gebäudeenergieberater belegt. Zudem hat er sich zum Brandschutzbeauftragten weitergebildet.

Eine ganz besondere Aufgabe gehört ebenfalls zum Arbeitsalltag dazu: Glück bringen! Strahlend berichtet er: „Jeden Tag fragt mich jemand, ob er mich anfassen darf. Das ist eine schöne Tradition. Gerade bei den Kleinen freut es mich sehr, wenn sie einen Schornsteinfeger aus Kinderliedern und -büchern wiedererkennen.“

Nachwuchstalente gesucht!

Nun, da Philipp Fleuti selbst Unternehmer ist, möchte er Studienabbrecher*innen gern eine Chance geben: „Jemand, der einen Studienabschluss angestrebt hat, hat meiner Meinung nach eine hohe Auffassungsgabe, kann selbstständig arbeiten und sich gut in neue Arbeitsabläufe und Vorschriften einfuchsen. Meist besteht auch der Wunsch, sich später weiterzuqualifizieren, was in unserem Handwerk enorm wichtig ist.“

Für den Ausbildungsstart im kommenden Jahr sucht er Nachwuchs. Wer einmal ins Schornsteinfegerhandwerk hineinschnuppern möchte, ist herzlich dazu eingeladen, ein Praktikum bei ihm zu machen. Besonders ermuntern möchte er auch junge Frauen, denn der Beruf ist weit ab von Geschlechterklischees. Sofern die Deutschkenntnisse ausreichend vorhanden sind, ist er genauso offen für zugewanderte Menschen.

Was sollte jemand mitbringen, der in den Beruf Schornsteinfeger*in starten möchte? Philipp Fleuti erklärt: „Ein Muss ist ein erfolgreicher Schulabschluss, mindestens der Mittlere Schulabschluss (MSA). Vorteilhaft ist ebenfalls Interesse an Mathe und Physik. Angst vor großen Höhen sollte man bei einer Arbeit über den Dächern Berlins nicht haben, doch es gibt Möglichkeiten, sich an die Höhe zu gewöhnen. Und frühes Aufstehen sollte man nicht scheuen, denn die Arbeit beginnt gegen 6 Uhr. Generell empfehle ich immer, zunächst ein Praktikum zu machen, um den Betrieb und die Aufgaben kennenzulernen. Als Kleinstbetriebe haben Schornsteinfeger ein recht enges Verhältnis zu ihren Mitarbeitenden, auch zu den Auszubildenden. Also: Findet zunächst heraus, ob euch die Aufgaben Spaß machen und ob die persönliche Chemie stimmt, dann gibt es für vieles eine Lösung!“

Und welchen Rat würde er jungen Menschen mit auf den Weg geben, die gerade an ihrem Studium zweifeln oder es bereits abgebrochen haben? Seine Antwort fällt deutlich aus: „Einfach machen, einfach ausprobieren. Nicht den Kopf hängen lassen! Alles geht vorbei, sowohl die guten als auch die schlechten Tage. Man muss halt nur seinen Weg finden.“

 

  • Auf der Webseite der Schornsteinfeger-Innung in Berlin findet ihr Informationen zur Ausbildungskampagne „Azubi im Glück“.
  • Mehr über die Fortbildung zum*zur Gebäudeenergieberater*in erfahrt ihr bei der Handwerkskammer Berlin.