Wie kann institutionsübergreifende Kooperation im Kontext der Beratung von Studienzweifler*innen und Studienabbrecher*innen gelingen? Wir führten ein Interview mit Claudia Wüllner (Zentrale Studienberatung an der Universität Göttingen, ZSb), Annette Mittag und Simone Bettenhausen (Agentur für Arbeit Göttingen). Sie teilen ihre Erfahrungen zu Erfolgsfaktoren und ihre Highlights aus der guten Zusammenarbeit und berichten über ein regionales Netzwerk in Südniedersachsen mit weiteren Akteur*innen in diesem Handlungsfeld.
Sie arbeiten in Göttingen seit Jahren zusammen in der Beratung von Studierenden. Hier kommen ja viele unterschiedliche Beratungsthemen zusammen: Studiengangwechsel, -zweifel oder -abbruch. Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit und warum braucht es diese?
Arbeitsagentur, Annette Mittag: 2012 entstand der Gedanke einer engeren Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagentur und IHK, um Absolvent*innen und Studienaussteiger*innen intensiver zu betreuen und künftige Fachkräfte in der Region Südniedersachsen zu halten.
2016 entwickelte sich daraus das Netzwerk „Neustart voraus“, in das neben den Kammern auch die Studienberatungen der Hochschulen eingestiegen sind. Vor allem die langjährige Zusammenarbeit mit der Zentralen Studienberatung der Uni Göttingen konnte dadurch intensiviert werden.
ZSb, Claudia Wüllner: Die lang zurückreichende, gute Kooperation zwischen dem Hochschulteam der Agentur für Arbeit und der Zentralen Studienberatung war sicherlich ein wichtiger Erfolgsfaktor zu Beginn des Netzwerks „Neustart voraus“. Es geht um das Sichtbarmachen der jeweiligen Stärken und Ressourcen der Beteiligten. Für eine optimale individuelle Lösung im Sinne der Ratsuchenden braucht es die Kompetenzen, das Erfahrungswissen und die validen Informationen aus den unterschiedlichen Bereichen.
Was sind Ihre Erfahrungen, wie es gelingt, eine solche Zusammenarbeit zu initiieren? Was braucht es zu Beginn?
Arbeitsagentur, Simone Bettenhausen: Zunächst ist die grundsätzliche Bereitschaft und das Interesse seitens der Institutionen wichtig, an den Themen Studienabbruch, Studienzweifel und -fachwechsel gemeinsam zu arbeiten.
Für uns steht die gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung der jeweiligen Kompetenzen und Aufgabenschwerpunkte im Mittelpunkt. Damit verbunden sind die Überzeugung und das Ziel, gemeinsam einen Mehrwert für die Zielgruppe in der Region anzubieten und dazu vorhandene Ressourcen zu nutzen.
ZSb, Claudia Wüllner: Wichtig ist als Fundament einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in jedem Fall ein gemeinsames Verständnis von Beratung als ergebnisoffenem Prozess, also einer Orientierung an den Ratsuchenden. Wenn hierauf aufbauend in einem Netzwerk Transparenz geschaffen wird, was die jeweiligen Angebote sind und welche Fragestellungen im Fokus sind, dann kann hierdurch auch die Verweispraxis gestärkt werden. So kann eine Grundhaltung entstehen, dass wir in den Themenfeldern nicht als Konkurrent*innen, sondern als Partner*innen unterwegs sein wollen.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit in der Praxis?
ZSb, Claudia Wüllner: Die Teams der Zentralen Studienberatung und der Agentur für Arbeit treffen sich regelmäßig zweimal pro Jahr und tauschen sich über konkrete Themen und die jeweilige Arbeitspraxis aus. Häufig identifizieren wir dabei Projekte, die wir gemeinsam gestalten können und entwickeln diese dann auch. Wir kennen uns mittlerweile so gut, dass auch erste, unfertige Ideen ausgetauscht und gemeinsam entwickelt werden können. Daneben gibt es ein jährliches Treffen des Netzwerks „Neustart voraus“ zusammen mit weiteren Akteur*innen.
Arbeitsagentur: Den Ausführungen von Claudia Wüllner können wir uns voll und ganz anschließen.
Was sind die Highlights der bisherigen Zusammenarbeit?
ZSb, Claudia Wüllner: Ein Highlight ist sicherlich die Infoveranstaltung zu den Themen Fachwechsel und Studienabbruch, die wir als Universität einmal pro Jahr zusammen in der Agentur für Arbeit organisieren. Bei dieser Veranstaltung wird auch deutlich, wie gut wir uns ergänzen. Von Uniseite geben wir hier den Input zum Thema Fachwechsel mit O-Tönen von Role-Models. Die Kolleg*innen vom Hochschulteam der Agentur für Arbeit stellen die Möglichkeiten für Studienabbrecher*innen auf dem Arbeitsmarkt dar. Auch dafür werden Role-Models eingeladen und zudem noch Personalentscheider*innen aus einem Unternehmen der Region.
Arbeitsagentur, Simone Bettenhausen: Die Veranstaltung heißt „Zeit für Veränderung?! Wenn das Studium nicht rund läuft: Neuorientierung innerhalb und außerhalb der Universität“. Wir planen, dieses Format noch auszubauen, um die Zielgruppe in unterschiedlichen Kontexten anzusprechen. Die Unterstützungsangebote, auch des gesamten Netzwerks „Neustart voraus“ sollen in der Region Göttingen noch sichtbarer werden.
Uns ist auch wichtig zu erwähnen, dass wir über viele Jahre hinweg, unter den unterschiedlichsten Rahmenbedingen, unsere Zusammenarbeit verstetigen und ausbauen konnten. Das ist aus unserer Sicht nicht selbstverständlich.
Welche Empfehlungen würden Sie anderen Akteuren geben, die institutionsübergreifend arbeiten wollen? Gibt es Gelingensfaktoren?
Arbeitsagentur, Annette Mittag: Unsere Empfehlung lässt sich mit folgenden Begriffen beschreiben:
- Klare und regelmäßige Kommunikation.
- Gemeinsame Ziele abstimmen.
- Gegenseitiges Vertrauen und Respekt vor den jeweiligen Aufgabengebieten.
- Achtsamer Umgang mit den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Institution.
- Sich auf Augenhöhe begegnen.
- Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, um auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren.
- Reflexionsfähigkeit, um gemeinsam Ziele zu hinterfragen und bei Bedarf zu ändern.
ZSb, Claudia Wüllner: Eine Vernetzung sollte immer die unterschiedlichen institutionellen Arbeitsaufträge berücksichtigen. Aber ich würde dem zustimmen, dass ein regelmäßiger Austausch die Grundlage schafft, um Zuschreibungen zu überwinden und gegenseitiges Vertrauen zu bilden. Wir müssen Transparenz schaffen, um genau zu wissen: Was machen die anderen, was sind die Angebote und wie können wir uns dabei ergänzen? Es ist zentral, die Frage zu klären, mit welchem Anliegen Ratsuchende bei welcher Institution richtig angebunden sind. Also die ganz konkrete Frage nach einer guten Verweispraxis: Wir alle möchten junge Menschen für einen erfolgreichen Weg unterstützen und da muss immer im Vordergrund stehen, was die einzelne Person konkret braucht und was wir jeweils dazu beitragen können.