Wenn er in der Backstube steht, den Kneter mit den richtigen Zutaten bestückt, den Teig auf den Tisch hievt und in korrekt eingewogene Portionen einteilt, dann merkt Julien, wie körperlich anstrengend seine Arbeit ist, aber auch, dass dadurch „die Zeit wie im Fluge vergeht“. Jetzt noch die Teiglinge gleichzeitig rundwirken, formen und sie zum Ruhen auf die Gare stellen. Dann können sie später in den Backofen geschoben werden.
Volle Konzentration auf die vielen Handgriffe. „Das gefällt mir sehr, dass ich richtig schwitze, wirklich körperlich erledigt bin, und dass ich beim Duschen nach der Arbeit merke: Ich hatte wirklich etwas zu tun.“ Manchmal vergisst Julien Busch dabei die Zeit, sagt er. Nach Schichtende spült er das Mehl ab und der Kopf ist frei. „Das ist ein schönes Gefühl für mich und für den Körper, ich spüre gerne, dass ich etwas gemacht habe.“
Der schönste Aspekt sei aber, so der 26-Jährige, dass „ich mit all meinen Emotionen, mit meiner Energie und wie ich drauf bin, in den Teig reingehe und etwas kreieren kann, was anderen dann hoffentlich auch noch schmeckt.“
So philosophisch kann man den Beruf des Bäckers auch sehen. Julien Busch tut es. Seit 2017 macht er seine Bäckerausbildung.
Dabei hatte er ganz andere Pläne im Leben: Als erster in seiner Familie wollte er nach dem Abitur studieren. Doch das Schicksal schreibt andere Geschichten. Sein durchaus alternatives Lebensumfeld bei der Mutter, seinen Alltag in einem einsamen Waldstück bei Templin verlässt er 17-jährig in Richtung Berlin, weil sein Vater schwer erkrankt ist und dringend Unterstützung benötigt. Das Abitur ist gerade keine Option. Julien Busch steigt in den ökologisch ausgerichteten Bäckerhandwerksbetrieb seines Vaters ein, arbeitet so gut er kann, managt mit anderen Angestellten stellvertretend den Bäckereialltag und verbringt so jede verfügbare Stunde zwischen Kranken- und Pflegestationen und Backstube, später am Sterbebett.
Keine leichte Zeit für einen 20-Jährigen. Anfangs kann er weder Brot riechen noch in eine Bäckerei eintreten. Irgendwann fasst Busch wieder Mut, holt auf der Abendschule in Berlin sein Abitur nach und beginnt Europäisches Management in Frankfurt (Oder) zu studieren. „Meine Idee war, mit dem Abschluss woanders hingehen zu können, vielleicht mal eine Firma führen zu können oder in eine einzusteigen“, sagt Busch. „Ich wollte gerne meine Chancen erweitern, mein Ziel war, größer als nur Berlin zu denken.“ Der Studiengang klang vielversprechend, BWL, Englisch, Volkswirtschaftslehre, was man international braucht, „aber das Studium war viel zu theoretisch und für mein Gefühl zu wenig mit der Hand“, beschreibt Julien Busch seine damaligen Zwiespalte, zumal ihm einer seiner Studienkurse so gar nicht von der Hand ging.
Zwei vergeigte Prüfungen und eine aufreibende, emotionale Runde mit Freunden später steht sein Entschluss fest: Raus aus dem Studium, es fühlt sich falsch an.
Gemeinsam mit der Freundin und dem besten Freund hatte er eine Nacht durchdiskutiert und durchphilosophiert, was ihm im Leben wichtig ist, wofür er brennt und dass das, „was ich gerade mache überhaupt nicht zu mir passt“, sagt der Bäckerlehrling im Rückblick. Sein Studium, das Leben in Berlin und das, wonach er auf der Suche war, fühlten sich wie ein Paralleluniversum an.
Julien Busch erinnert sich noch sehr genau an jenen Frühsommerabend 2017, jener Abend, der ihm Klarheit bringt. Danach geht alles sehr schnell. Er lässt sich an der Europauniversität in Frankfurt (Oder) exmatrikulieren. Im September 2017 beginnt seine Ausbildung zum Bäcker. In die ehemalige Bäckerei seines Vaters in Kreuzberg kann er nicht zurück, „weil es dort keinen Meister gibt, der mich ausbilden kann“. Im Prenzlauer Berg findet er einen alten Bäckermeister „mit einem konventionellen Konzept. Das ist in Ordnung so und funktioniert auch“, sagt Busch. Aber er stellt sich für sich und seinen zukünftigen Weg doch etwas anderes vor und sucht deshalb das Gespräch mit der Berliner Obermeisterin des Bäckerhandwerks, Christa Lutum. Sie reagiert pragmatisch und bietet ihm die Fortsetzung seiner Ausbildung in ihrer Bio- und Dinkelbäckerei in Berlin-Charlottenburg an. Busch greift zu, denn er liebt dieses Metier. Auch wenn viele Menschen Nachteile im Bäckerberuf sehen, so viele gibt es in der Berufspraxis gar nicht.
„Klar, die Bezahlung ist ausbaufähig, aber später als Geselle verdiene ich wirklich nicht schlecht. Und wenn ich noch einen Meister anhänge, habe ich viele Möglichkeiten und Spielräume, auch finanzielle“, ist sich Busch gewiss. Und wie Bäckereibetriebe als Unternehmen in zehn Jahren aussehen, das wird sich erst zeigen. „Bio liegt nicht nur im Trend, sondern wird immer mehr geschätzt.“ Ist er optimistisch.
Die Schichtarbeit fühlt sich von außen betrachtet auch schlimmer an, ist der angehende Bäcker überzeugt. „Es ist kein Problem, dass ich um zwei Uhr aufstehe und loslege. Der Körper stellt sich darauf ein“, sagt der Bäckerlehrling. Er hätte vorab auch nicht gedacht, dass er mit dem Schlafmodus gut klarkommt, denn immerhin gibt es wechselnde Zeiten in der Back- oder der Konditorschicht, die er beide bedienen darf. Und überraschend gesteht er, dass ihm die Brotbackschicht nachts am liebsten sei.
„Man hat das Gefühl, die Stadt gehört einem, man ist der einzige, der Licht angeschaltet hat und munter ist, während alle anderen schlafen.“
Er mag es sehr, allein in der Backstube zu stehen und das Brot für Stadt zu backen.
Dann denkt er vielleicht daran, dass er einen großen Umweg gegangen ist, ehe er bei seinem Traumberuf und seiner Leidenschaft für Brot und Brötchen, Kuchen und Torten landete. Für junge Menschen auf der Suche nach einem erfüllenden Beruf wünscht er sich mehr Gelegenheiten zum Ausprobieren. Übrigens auch für Studierende, ehe sie sich für einen Studiengang entscheiden. „Ich wäre lieber fünf Wochen vor dem Studium mitgelaufen, in verschiedenen Kursen und hätte den Ablauf mitbekommen und mich dann besser entschieden“, ist er sicher. Reinschnuppern. Der Bäcker steckt eben in ihm.
Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß
Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.