Es ist dieser typische Geruch von altem Motorenöl, der die riesige S-Bahn-Reparaturhalle in Berlin-Schöneweide durchzieht. Laura Käding nimmt ihn schon lange nicht mehr wahr. „Nur, wenn ich lange nicht hier war und wieder an meinen Arbeitsplatz zurückkomme, dann bemerke ich den Geruch”, sagt die angehende Industrieelektrikerin. Daran hat sie sich genauso gewöhnt wie an ihre blaue Latzhose, die derben Arbeitsschuhe oder Werkzeug wie Maulschlüssel und Crimpzange, die sie bei der Ausübung ihrer Arbeit tagein, tagaus benutzt. Wenn sie die Elektrik von großen Bahnachsen oder an Baukomponenten prüft.
Vom Kunststudium in die Werkhalle
Dabei ist sie mit Stift, Farbe und Pinsel genauso geschickt. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die heute 22-Jährige davon träumte, Produktdesignerin zu werden und an einer der künstlerischen Hochschulen der Stadt zu studieren. „Um angenommen zu werden, hätte ich allerdings eine Bewerbungsmappe benötigt.” Diese vorzubereiten, dafür hatte ihr die Zeit gefehlt, während sie fürs Abitur lernte. Mit dem Abizeugnis in der Hand, musste sie 2017 also umplanen und entschied sich für ostasiatische Kunstgeschichte und Japanstudien an der Freien Universität Berlin. Dafür musste sie keine Mappe vorbereiten, aber das Fach tangierte durchaus ihr künstlerisches Interesse. „Eigentlich war es eine Notlösung, aber das Studium gefiel mir wirklich gut.” Laura Käding lernte mit viel Freude japanische Schriftzeichen und Sprache, beschäftigte sich mit der Seidenstraße und buddhistischer Kunst. Langweilig war ihr nicht, zu entdecken gab es viel.
Drei Semester lang nahm sie das Studium ernst, war motiviert, hatte passable Leistungen. „Aber ich wusste nicht, was ich später mit dem Studium anfangen kann?” Was nach dem Studium auf sie zukommen würde, fühlte sich alles sehr abstrakt an. Mittels der Sprache hätte die Kunstgeschichtsstudentin vielleicht die Option, Texte zu übersetzen oder Fachexpertisen zu erstellen, auch für Museen zu arbeiten. Sie, die gerne mit den Händen arbeitet, wollte aber nicht in einer theoretischen Nische landen oder für eine elitäre Klientel tätig sein. „Das wäre ein sehr kleiner, sehr spezifischer Bereich gewesen, in dem ich mein Wissen hätte anwenden können. Das hätte mir nicht gereicht”, sagt Laura Käding im Nachhinein. „Immer öfter habe ich mich gefragt, wofür ich überhaupt studiere? Obwohl es mir Spaß gemacht hat, war mir klar, dass es auf Dauer keine Perspektive für mich sein würde.” Sie suchte nach einem Ausweg, ohne schon die zündende Idee zu haben.
Die Studentin redet viel mit anderen, teilt ihre Zweifel und Bedenken. Eine Freundin, mit der sie irgendwann abends in der U-Bahn sitzt, registriert Lauras Begeisterung für‘s Bahnfahren, für ein- und ausfahrende Züge. Die Freundin glaubt, einen Scherz zu machen, als sie ihr zuruft, Bahnfahrerin zu werden. Aber genau der trifft bei Laura Käding mitten ins Herz: Bahn fahren, das wäre etwas für sie. „Etwas, das Sinn macht”, denkt sie im Stillen.
Der Einstieg in die Berufsausbildung
Dann geht alles sehr schnell. Sie recherchiert begeistert, wie der Weg wäre, damit sie später einen S-Bahn- oder einen Regio-Zug fahren könnte und landet zielgenau im Bewerbungsverfahren bei der S-Bahn Berlin GmbH, wo sie seit 2019 eine kombinierte Ausbildung zur Industrieelektrikerin und Triebfahrzeugführerin absolviert. Nach vier Semestern sagte sie der Universität adé und wechselte direkt in das startende Ausbildungsjahr – und fühlt sich seitdem wie befreit. „Meine Entscheidung kam zwar aus dem Bauch heraus und es ging alles sehr schnell”, sagt Laura Käding. „Ich war aufgeregt, ob es das Richtige ist, aber dann war ich hier und hab mich von der ersten Minute an wohlgefühlt.” Sie ist erleichtert. Ihre Eltern hatte sie erst eingeweiht, als sie den Ausbildungsvertrag in der Tasche hatte. Ohne Plan wollte sie als Studienabbrecherin nicht vor ihnen stehen. „Da gab es schon die Erwartung, dass ich mit einem Abitur auch studiere, aber nun sind sie zufrieden.”
Wenn Laura Käding nicht in der Berufsschule die Grundlagen der E-Technik und alles was dazu gehört paukt, steht sie morgens kurz nach sechs Uhr hochmotiviert in einem der S-Bahn-Reparaturwerke und erledigt ihre Aufgaben als Industrieelektrikerin: Sie prüft zum Beispiel, ob an den Radachsen eines S-Bahnzuges die eingebaute Elektrik funktioniert, kontrolliert die Isolation an Leitungen und führt Belastungsmessungen an Komponenten durch, checkt ob alles im Takt läuft. Jeder Fehler von ihr könnte im laufenden Betrieb zu einem Sicherheitsrisiko führen. Dieser Verantwortung ist sich Laura Käding bewusst. Ihren Plan arbeitet sie konzentriert ab. „Wer Abitur und für Mathematik und Physik ein normales Verständnis hat, kommt hier wirklich klar”, ist die Auszubildende überzeugt. Mit Kennermiene spricht sie über die verschiedenen S-Bahn-Baureihen und kennt schon deren Besonderheiten und technischen Merkmale. Sie ahnt, je mehr sie als Industieelektrikerin über das Innenleben, Bauteile und Funktionsweise der Baureihen weiß, umso sicherer wird sie sich später beim Fahren einer S-Bahn fühlen. „Diese kombinierte Ausbildung hat den Vorteil, dass ich mich später beim Fahren mit der Technik, den Bauteilen und Komponenten auskenne, Fahrzeugkenntnisse habe”, ist sich Laura Käding bewusst. „Ich erkenne dann auch schneller, ob ein Zug nicht rundläuft.”
Ihr Studienabbruch fühlt sich im Rückblick nicht falsch an. „Einige meiner Freunde haben auch ihr Studium abgebrochen. Viele haben an sich gezweifelt, das ist aber falsch!”, sagt die Zweiundzwanzigjährige. „Es liegt nicht daran, dass sie nicht die Fähigkeiten haben, sondern weil das Studienfach und die Perspektive nicht zu ihnen passen”, weiß sie aus eigener Erfahrung. Sie selbst bedauert, dass sie während des Abiturs nicht die Gelegenheit und ausreichend Zeit hatte, Praktika zu absolvieren. Die Berufsberatung während der Schulzeit, die sie mehrfach genutzt hat, konnte ihre Interessen auch nicht klar ausloten Empfehlung des Beraters: Als kreative Frau könne sie ja Konditorin werden, erinnert sie sich mit Blick auf Maulschlüssel und Crimpzange schmunzelnd. „Es ist wichtig, offen für Verschiedenes zu sein. Wenn man nur in eine Richtung denkt, so wie ich anfangs, dann schränkt einen das ein.”
Und so erinnert sie sich, dass sie als Kind sogar eine Modelleisenbahn hatte, die sie mit ihrem Opa immer im Sommer aufbaute. „Aber zu einem Mädchen sagt ja keiner: Laura, du hast Spaß damit, das wäre doch ein Beruf für dich. Deshalb hat‘s bei mir vielleicht länger gedauert.”
Wenn sie jetzt Feierabend hat, dann greift sie wieder nach Papier, Pinsel und Farbe. „Ich male sogar mehr als früher. Weil der Druck aus dem Hinterkopf raus ist, eine Mappe vorzubereiten.” Da ist jetzt der Gedanke, dass sie im Sommer 2021 den zweiten Teil ihrer Ausbildung startet und – wenn alles nach Plan läuft – ab Juni 2022 irgendwo in Berlin im Cockpit einer S-Bahn sitzt und relaxed den Zug startet.
Fotos: Anna Weise
Text: Ina Krauß
Dieser Erfahrungsbericht ist im Rahmen des Projekts „Queraufstieg Berlin“ entstanden. Das Projekt wurde von 2016 bis 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Leuchtturmprojekte Studienabbruch“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Initiative „Bildungsketten“ gefördert.